Ausserplanmässiges

Replik zu LinkedIn-Post Dr. Adrian Schoop vom 30.11.20

Für mich war früh klar, dass ich für die Konzernverantwortungsinitiative bin. Ich habe mich aber in den letzten Monaten auch mit vielen Menschen unterhalten, die eine andere Meinung vertraten als ich. Man kann bei einem so komplexen Thema durchaus anderer Meinung sein. Als jemand, der für 40 Mitarbeitende verantwortlich ist und der – wenn auch nicht der Form halber, aber von der Haltung her – Unternehmer ist, verstehe ich auch das Argument, dass gute Unternehmer*innen selbst auf die Einhaltung dieser Standards pochen und dass man besser vertrauen statt Gesetze erlassen sollte. Nun hat das Volk gesprochen – knapp und uneindeutig (Volksmehr vs. Ständemehr), aber definitiv. Eigentlich wäre nach einem teilweise gehässigen Abstimmungskampf die Zeit gekommen, die Kontroverse zu beenden.

Wenn sich aber ein Aargauer Grossrat im Nachgang auf LinkedIn derart polemisch und generalisierend zum Abstimmungsergebnis äussert, drängt mich das zu einer Replik. Offensichtlich gibt es nämlich nicht nur schlechte Verlierer*innen sondern auch zumindest einen schlechten Gewinner…

Die erste Spitze im Post geht gegen die in diesem Ausmass noch nie dagewesene Dichte an orangen Plakaten und Transparenten in der Schweiz. Die möchte Herr Schoop lieber heute als morgen nicht mehr sehen. Entschuldigung, Herr Schoop, aber der grösste Teil davon hängt an Hausfassaden und Gartenzäunen privater Haushalte oder flattert an privaten Velos. Als Vertreter einer Partei, die Liberalität und Privateigentum so hoch schätzt, dürfte Ihnen klar sein, dass ich selbst entscheide, wie lange diese Plakate hängen bleiben.

Die zweite Spitze geht gegen den Herstellungsort – China soll es sein. Offensichtlich sind das Fake-News. Die Fahnen wurden in Griechenland hergestellt, aus rezykliertem Material. Aber China als Produktionsland passt eben so wunderbar in die Story der heuchlerischen Linken, nicht?

A propos Linke: Um die geht es im Mittelteil des Posts. Herr Schoop unterschlägt da nur, dass 50% Ja gestimmt haben – und zumindest mir ist neu, dass die „Linken“ (Wer gehört da eigentlich dazu?) in der Schweiz 50% Wähleranteil hätten. Gut, wenn man natürlich Politiker wie Dick Marty und Martin Landolt dazu zählt, dann geht die Rechnung wieder auf. Besser wäre die Erkenntnis, dass man auch aus einer freisinnig-demokratisch-liberalen Grundhaltung heraus Zweifel daran haben kann, dass sämtliche Unternehmen ohne Druck die in der Schweiz geltenden Regeln auch im Ausland einhalten würden.

Zum Schluss dann noch das moralische Totschlagargument: «Alle Gegner*innen bitte jetzt Smartphones und ähnliche Geräte abgeben». Nichts gegen konsequente Politik, aber das tönt verdächtig nach dem gesinnungsterroristischen Appell „Moskau einfach“ der 80er Jahre. Es ist zudem genau gleich hohl wie die Forderung, FDP-Wähler dürften den Vaterschaftsurlaub nicht beziehen, weil die Partei sich dagegen ausgesprochen hatte.

Ich habe Herrn Schoop erst einmal persönlich getroffen und nahm einen angenehmen, sachlichen Eindruck von ihm mit, umso mehr irritiert mich dieser aggressive Beitrag über ein soziales Medium. Ich würde es als Staatsbürger sehr begrüssen, wenn Herr Schoop und alle, die ähnlich denken und ihm zustimmen, zur Kenntnis nehmen: Am letzten Wochenende hat eine knappe Mehrheit des Stimmvolkes klar gemacht, dass es ihnen nicht gänzlich egal ist, wie Schweizer Unternehmen ihr Geld verdienen. Dass sie die Regeln, die zugunsten von Gesundheit und Umwelt in der Schweiz gelten, als universell erachten. Das hat nichts mit Moralisierung, Anmassung oder (besonders perfide) Neokolonialismus zu tun, sondern einzig damit, welche Bedeutung wir diesen Werten beimessen. Mir persönlich ist völlig klar, dass die Durchsetzung dieser Werte uns selbst wirtschaftlich etwas kostet – aber: Das sind mir diese Werte wert. Wenn sich die FDP-Politiker*innen von heute wieder mehr auf ihre vielfältigen Wurzeln besinnen würden – nicht nur auf die (wirtschafts-)liberalen, sondern auch auf die freisinnigen und demokratischen, die heute nur noch etwas verschämt in der Abkürzung aufscheinen – würden sie es wohl ähnlich sehen. Wer es nicht mehr präsent hat: Da hilft zum Beispiel das sehr lesenswerte Buch «Geschichte der Schweiz» von Thomas Maissen.  Ich könnte mir vorstellen, dass diejenigen, die vor 150 Jahren gegen das System „Escher“ und damit für immer mehr Reichtum weniger zu Lasten der grossen Mehrheit gekämpft hatten, am letzten Sonntag auch „Ja“ gestimmt hätten.

Die Regeln der Schweizer Demokratie haben nun dazu geführt, dass die Initiative trotz Volksmehr abgelehnt wurde. Das ist zu akzeptieren. Ich (und vermutlich alle Befürworter*innen) nehme die Gewinner*innen aber jetzt beim Wort: Die unternehmerische Eigenverantwortung und der Gegenvorschlag sollen jetzt gemäss den gebetsmühlenartig wiederholten Beteuerungen von Wirtschaft und Teilen der Politik dazu führen, dass Schweizer Unternehmen keinen Profit zu Lasten von Umwelt und Gesundheit in anderen Ländern mehr erwirtschaften. Ich hoffe, dass das gelingt – und bis ich ganz sicher bin, lasse ich die orange Fahne in meinem Garten noch etwas hängen.

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